Social Media hat viele Vorteile zugegeben, aber wer hat schon einmal über die Nachteile nachgedacht
Wo ist sie hin, die Zeit in der noch Telefonnummern oder gar Adressen ausgetauscht wurden? Die Zeit, in der sich kein Personalchef die Mühe gemacht hätte, den gesamten Lebenslauf eines einzelnen Bewerbers auszuforschen? Als man sich noch darüber unterhalten hat, wie das Wochenende war, seit wann man die neue Haarfarbe trägt und wie es X und Y geht?
Ich spreche von einem Zeitalter, das für kaum jemanden in unserem Bekanntenkreis noch vorstellbar ist… Das Leben vor den sozialen Netzwerken. Ich nehme ganz einfach einmal an, dass beinahe alle unserer Leser in mindestens einem der vielen sozialen Netzwerke angemeldet sind, egal ob Facebook, Twitter, Linked In, Xing, Lokalisten, Instagram, Tinder und wie sie sonst noch alle heißen.
Der Grundgedanke ist simpel und eigentlich nicht schlecht… Je nach Netzwerk stecken verschiedene, meist sogar löbliche, Zwecke dahinter.
Mit den Freunden kommunizieren ist so einfach
Wir sollen die Möglichkeit haben, Freundschaften zu schließen, zu fördern oder zu festigen. Kontakte zu knüpfen, zu halten und für jeden weltweit erreichbar zu sein. Businesskontakte bleiben in lockerer Verbindung, mein Chef ist plötzlich mein “Friend” – und ich kann mit meinem favorisierten Arbeitgeber ganz lässig via Postings kommunizieren und mich so im besten Licht zeigen. Als “User” können wir stolz unseren gerade eben fertig gebackenen Kuchen präsentieren, uns Ideen fürs nächste Abendessen holen oder all unseren Bekannten zeigen, wie wir nach einer Stunde Fitnessstudio aussehen. Abends alleine auf der Couch liegen und Chips mampfen? Das war einmal! Denn nun gibt es Tinder und Spotted, die große Liebe auf Knopfdruck. Gefällt mir, gefällt mir nicht – und zack, hat man schon ein paar potentielle Anwärter für das Glück zu zweit.
Und seien wir uns ehrlich: Es wäre auch keine schlechte Idee, die Leute aus dem Auslandssemester, alte Schulkameraden oder die entfernten Verwandten wieder einmal anzurufen oder gar zu besuchen. Aber hey, stets zu sehen was sie tun und wo sie sich aufhalten ist einfach viel verlockender, als der langweilige Austausch von E-Mails oder eben der pflichtmäßige Anruf. “Christian XY checked in at Sydney Opera House” – und bevor Christian noch das zweite Foto gemacht hat, hat er schon drei geistreiche Kommentare seiner daheimgebliebenen Freunde empfangen. Mithilfe von Facebook und Co. ist man immer und überall live dabei, man lebt quasi mit all den anderen Nutzern mit… Und fühlt sich nie allein. Doch genau diese Vorteile sind bereits seit Jahren zu immer größeren Nachteilen geworden.
Seit ich Facebook habe, bin ich nicht mehr alleine. Ich kann mich mit meinen Freunden unterhalten, während ich mit meinem Hund durch den Wald spaziere. Kann meiner besten Freundin ein Foto von der Party schicken, auf der sie mir dann gleich ein bisschen weniger fehlt. Ich sehe, welche meiner Bekannten sich in der Nähe aufhalten und habe auch am einsamsten Berggipfel die Möglichkeit, die aktuelle Laune meiner Familie in Erfahrung zu bringen.
Doch wer einen Schritt näher geht und den Blick ein kleines Stück unter die Oberfläche richtet, der sieht, was diese virtuelle Nähe wirklich mit uns macht… Wir vereinsamen.
Die Kommunikation wird nicht gefördert, sie stirbt
Ein sehr schönes Beispiel dafür hat sich vor einigen Monaten in meinem Bekanntenkreis abgespielt. Wir wollten einen gemütlichen Abend machen, zu dem ich leider nicht pünktlich erscheinen konnte. Via Facebook war klar, alle anderen sind schon da, also beeilte ich mich umso mehr. Als ich – ziemlich außer Atem – ins Wohnzimmer stürzte, hätte ich am liebsten gleich wieder umgedreht. Alle saßen da, starrten auf ihre Handys, hoben kurz den Blick, um mir zuzunicken – und ihn dann wieder zu senken. Das sozialste was wir an diesem Abend machten, war zu viert auf ein und das selbe Display zu starren, um durch die Fotos einer – anscheinend besonders interessanten – Person zu surfen.
Irgendwie ist es erschreckend, wie asozial uns diese virtuelle Sozialität macht. Wann war das letzte Mal, dass Sie mit aufmerksamem Blick durch die Straßen geschlendert sind? Bewusst die Natur genossen haben? Beobachten Sie das nächste Mal bei einer Party: Wie viele Leute fixieren ihr Handy, anstatt sich mit dem Gegenüber zu unterhalten?
Ich will gar nicht wissen, wie viele schöne Momente ich schon verpasst habe, weil ich meinen Blick gerade dann aufs Telefon Display fixiert hatte. Wie viele Begegnungen und Chancen mir durch die Finger gegangen sind, wegen Stunden die ich vorm Laptop und in meiner virtuellen heilen Welt verbracht habe. Würde ich all diese Zeit zusammenrechnen, wäre ich womöglich bei Olympia, Vorstand von Microsoft oder vierfache Mama. Gut, das war jetzt vielleicht übertrieben. Aber ich hätte bestimmt einige schöne Erinnerungen mehr und einige nichtssagende Stunden weniger.
Andererseits würde ich ohne meine Social Networks viele Kontakte nicht halten können. Würde mich beim Busfahren langweilen (Würde ich das? Oder habe ich einfach vergessen, wie ich mir in der Pre Smartphone Ära die Zeit vertrieben habe?). Und hätte bestimmt nicht so gute Möglichkeiten, mich über Unternehmen und Karrierechancen zu informieren.
Bei all den positiven und negativen Aspekten, die soziale Netzwerke mit sich bringen, kommt man schnell auf einen Schluss: die Art, wie man sie nutzt und in welcher Menge, macht aus, inwieweit sie hilfreich und spaßig, oder lebensfremd und zeitraubend sind. Es ist, wie fast überall: Die Dosis macht das Gift.
Der sorgsame Umgang ist angeraten
Prinzipiell spricht ja nichts gegen das Lesen von lustigen Postings und dem Teilhaben am Leben anderer. Doch natürlich hat jede Medaille zwei Seiten… Und gegen die Möglichkeit, uns zu bespaßen, und ins Privatleben anderer Einblick zu erhalten, geben wir auch viel von uns preis – quasi unsere Bezahlung für die Nutzung des Internetdienstes. Wir geben viel von unserer Privatsphäre auf und teilen manches mit der ganzen Welt. Es sei also wohl überlegt, wieviel wir von uns und unserem Leben veröffentlichen… Denn wirklich wissen, wer hinter dem Profil der hübschen Blonden steckt, und wer uns nur deshalb eine Freundschaftsanfrage geschickt hat, weil er Personaler ist – tja, das können wir eigentlich nicht.
Unsere Eigendarstellung haben wir jedenfalls noch selbst in der Hand. Wir können unsere Privatsphäre Einstellungen möglichst hoch schrauben und sehr wenige Bilder (vor allem keine zu privaten, oder gar Fotos vom Feiern oder Urlauben) hochladen. Tückisch sind aber noch vielmehr die verschiedenen Anwendungen und Apps, die die meisten Netzwerke zunehmend anbieten. Um gegen unsere Langeweile anzukämpfen, klicken wir, ohne groß die Bestimmungen, Inhalte und Berechtigungsklauseln zu lesen, völlig naiv auf „zustimmen“. Doch während wir unser Spielchen downloaden oder uns mithilfe einer Foto App noch ein bisschen schöner retouchieren, kann durch unser “Zustimmen” im Hintergrund auf Adressbuchdaten, eigene Angaben und weitere sensible Daten zugegriffen werden – ohne dass wir etwas davon merken. Die Daten werden beispielsweise für gezielte Werbeplatzierungen genutzt (sagt bloß ihr habt euch noch nie gefragt, warum euch Facebook in letzter Zeit immer so tolle Schuhe vorschlägt – und das noch dazu genau von der Internetseite, auf der ihr vor einem Monat ein Paar ähnliche bestellt habt!) – oder die Daten werden einfach weitergegeben. Ebenso gehen die Rechte an hochgeladenen Bildern und Texten an den Betreiber des Netzwerkes… Wieso? Na, weil wir in den AGB, die vermutlich niemand von uns jemals gelesen hat, zugestimmt haben! Rechtlich ist das zwar trotzdem nicht wirklich gestattet, aber bis der Missbrauch bemerkt wird, ist es meist einfach zu spät. Außerdem ist das Nachvollziehen der Straftat und das Finden des Übeltäters quasi unmöglich.
Zu welchem Schluss kommen wir also?
Wie bei den meisten Dingen im Leben, gibt es kein schwarz oder weiß. Soziale Netzwerke machen Spaß und sind – intelligent genutzt – eine großartige Möglichkeit, sich, seine sozialen Kontakte und seine Karrierechancen zu optimieren. Der Schuss kann jedoch auch schnell nach hinten losgehen, und uns beruflich ins Aus schießen, uns zu Marketingopfern und zur Zielscheibe von Stalkern machen – oder uns unser gesamtes soziales Leben völlig auf den Kopf stellen.
Wir sollten uns wohl alle an der Nase nehmen und etwas ändern. Den Zauber eines Momentes genießen, anstatt ihn ab zu fotografieren und in schlechter Qualität zu veröffentlichen. Keine Likes mehr auf Profilbildern verteilen, sondern Menschen echte Komplimente machen. Auf die Ausstrahlung unseres Gegenübers achten, anstatt auf seine bearbeiteten Selbstporträts. Uns schick anziehen um uns wohlzufühlen, und nicht um auf verlinkten Fotos möglichst gut auszusehen. Darauf zu verzichten, unsere “Friends” zu pflegen, und uns stattdessen auf unsere “Freunde” konzentrieren.
Foto: bramgino – Fotolia.com