Gibt es die gehobene Klasse der Schneiderei noch?
In keinem Jahr zuvor war Mode so unbedeutend wie in 2020. Das Pandemiejahr hat den Stellenwert der Mode auf den Kopf gestellt. Denn Mode lebt davon, präsentiert und gesehen zu werden. Unmöglich in einem Jahr, das die Menschheit zwang, daheim zu bleiben. Für modebewusste Menschen ist Kleidung weit mehr als nur Schutz vor Kälte und ungebetenen Blicken – sie ist Ausdruck der eigenen Identität. Geprägt wird diese Identität von den großen Designern dieser Welt, die ihre kunstvollen Kleiderwerke auf den Laufstegen in Mailand, London oder New York präsentieren. Dabei fallen oft die Begriffe Pret-à-Porter und Haute Couture. Was hinter den wohlklingenden französischen Phrasen steckt, wird hier geklärt.
Was ist Haute Couture und seit wann gibt es sie?
Der französische Begriff Haute Couture lässt sich auf Deutsch in „gehobene Schneiderei“ übersetzen und beschreibt die absolute Königsklasse der Kleidermacherei. Jedes Haute Couture Kleid wird per Hand maßgeschneidert und passt der Trägerin wie angegossen. Bis es so weit ist, vergehen meist mehrere Anproben, bei denen jede Naht und Falte exakt angepasst wird. Nicht selten dauert es mehr als einen Monat, bis ein einzelnes Kleidungsstück fertiggestellt ist. Bei jedem Kleid handelt es sich um ein Unikat.
Entstanden ist die Haute Couture im 19. Jahrhundert durch den englischen Designer Charles Frederick Worth. Worth eröffnetet 1858 ein exklusives Modehaus in Paris, in dem er selbst entworfene hochexklusive Roben von seiner Frau Marie vorführen ließ. Vorher waren Kleider nur an Puppen vorgeführt worden. Schnell scharrte sich eine wohlbetuchte Klientel um Worth, darunter Kaiserinnen, Fürstinnen und Königinnen aus dem europäischen Ausland.
Wenige Jahre später (1868) wurde ein spezielles Komitee für die Haute Couture gegründet, das Chambre Syndicale de la Haute Couture. Seine Aufgabe: Entscheiden, welches Designhaus als Haute Couture gilt und welches nicht.
Was unterscheidet Pret-à-Porter von der Haute Couture?
Pret-à-Porter ist Designermode, die auf den Laufstegen dieser Welt präsentiert wird. Im Gegensatz zur Haute Couture ist Pret-à-Porter nicht von Hand maßgeschneidert, sondern wird industriell in den gängigen Standardgrößen hergestellt. Wobei manche Modehäuser die Stückzahlen limitieren, um ihren Pret-à-Porter-Kollektionen mehr Exklusivität zu verleihen.
Ein großer Unterschied zur Haute Couture besteht darin, dass Pret-à-Porter quasi sofort verfügbar ist, nachdem sie bei einer Modeschau präsentiert wird. Kunden und Kundinnen können die tragfertige Mode (auf Englisch auch „Ready-to-wear“ genannt) nicht nur bei den Schauen oder Designateliers erwerben, sondern sie auch in Boutiquen und Onlineshops finden.
Pionierarbeit in Sachen Pret-à-Porter hat übrigens Yves Saint Laurent geleistet. Als YSL in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum ersten Mal eine Pret-à-Porter-Kollektion über den Laufsteg schickte, war die Modewelt schockiert. Vorher war nur Haute Couture der Schauen würdig.
Warum setzte sich Pret-à-Porter durch?
Wenn Menschen an Mode denken, haben sie Pret-à-Porter im Sinn. Denn die tragbare Mode hat sich durchgesetzt und dominiert heute den Markt. Gegenüber der Haute Couture hat Pret-à-Porter viele Vorteile. Die Kollektionen lassen sich besser planen, in großer Stückzahl industriell herstellen und preiswerter verkaufen. Die handgefertigte Haute Couture wäre für ein breites Publikum aufgrund der zeit- und arbeitsintensiven Herstellung nicht zu realisieren und schlicht unerschwinglich. Dank Pret-à-Porter ist Designermode für die Massen zugänglich geworden.
Gibt es auch heute noch Haute Couture?
Der Begriff Haute Couture ist in Frankreich rechtlich geschützt. Das Chambre Syndicale de la Haute Couture, heute unter dem Namen Fédération de la Haute Couture et de la Mode aktiv, entscheidet, wer zur Königsliga der Modemacher zählen darf. Jedes Jahr werden die Designer nach strengen Kriterien ausgewählt https:/de.wikipedia.org/wiki/Haute_Couture . Sie müssen etwa eine bestimmte Anzahl an Mitarbeitern in Paris beschäftigen, eine Mindestanzahl an Kleidungsstücken pro Jahr produzieren und jedes Kleidungsstück durch mindestens eine persönliche Anprobe schicken. Im Jahr 2020 zählen weltweit nur 16 Modehäuser dazu. Darunter allseits bekannte Namen wie Chanel, Dior, Givenchy, Gaultier oder Maison Margiela. Aber auch vielleicht nur echten Modekennern bekannte Namen wie Stéphane Rolland, Maison Schiaparelli, Maurizio Galante, Maison Rabih Kayrouz, Julien Fournié, Giambattista Valli, Franck Sorbier, Bouchra Jarrar, Alexis Mabille, Alexandre Vauthier oder Adeline André gehören dazu. Zusätzlich gibt es sieben Korrespondenten-Modehäuser, deren Ateliers nicht in Paris ansässig sind. 2020 zählen Viktor & Rolf, Versace, Valentino, Giorgio Armani, Fendi Couture, Elie Saab sowie Azzedine Alaïa darunter.
Jährlich zwei Modeschauen präsentieren diese Haute Couture Designhäuser. Je eine Frühjahrs-/ Sommerkollektion im Januar und eine Herbst-/Winterkollektion im Juli. Beide werden traditionell in Paris abgehalten. 2020 war das erste Jahr, in dem es pandemiebedingt eine virtuelle Modenschau gab. Normalerweise sind Haute Couture Schauen regelrechte künstlerische Spektakel. Erlesene Gästelisten und aufwendig gestaltete Bühnensets bilden die Kulisse, wenn die exklusiven Haute Couture-Stücke über den Laufsteg laufen.
Laut der britischen Vogue gibt es einen sehr erlesenen Kreis an Kundinnen und Kunden. Weltweit nur rund 4.000 Menschen können sich die exklusiven und nicht selten aufsehenerregenden Roben leisten. Denn die Preise für Haute Couture sind hoch. Zwischen 9.000 Euro und einer Million Euro kann ein Couture Kleid kosten, abhängig davon, wie aufwendig die Herstellung ist.
In Durchschnitt dauert es 150 Arbeitsstunden, um ein einfaches Couture Kleid oder einen einfachen Couture Anzug von Anfang bis Ende herzustellen. Bei aufwendigen Kleidungsstücken, etwa mit vielen Perlen oder Stickereien, können es auch über 6.000 Arbeitsstunden werden. Nur die allerbesten Schneiderinnen und Stickerinnen der Welt arbeiten an solchen Kleidern.
Angesichts dieser zeitintensiven Herstellung wundert der Preis auch nicht. Übrigens steht eingangs nicht fest, wie teuer ein Couture Kleidungsstück wird. Vielmehr wird am Ende abgerechnet, wie viele Arbeitsstunden es gedauert hat.
Fazit
Warum Haute Couture überhaupt noch produziert wird? Hauptsächlich für die Aufmerksamkeit. Haute Couture bringt den meisten Designhäusern deutlich weniger Geld als Pret-à-Porter ein. Dafür berichten die einschlägigen Modemedien über Haute Couture Schauen umso mehr. Die aufwendigen Shows formen das Image und setzen Trends – was wiederum dem Absatz von Pret-à-Porter hilft.
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